Radikal, brutal, kraftvoll: Es sind diese Begriffe, die man mit dem Nobelhart & Schmutzig und dessen Küche in Verbindung bringt. Und wahrlich: Hier läuft alles konsequent anders. Man darf mit den Händen essen, Handys am Tisch sind nicht so gerne gesehen, man kann seinen eigenen Wein mitbringen, die Gäste wählen nicht, sondern bekommen ein zehn-Gänge-Menü. Und was hier auf den Tisch kommt ist regional. In aller Konsequenz. Und das schmeckt ausgesprochen gut.
Die Gegend hinter dem Checkpoint Charlie ist eher trist. The Dark Side of the Friedrichstraße. Pink Floyd könnte ein Lied drüber schreiben. Hier, schräg gegenüber der Polizeistation, befindet sich das Nobelhart & Schmutzig. Der Liebling der Berliner Gastro-Szene und eines der besten Restaurants in Berlin. Auch wenn der Laden von außen wenig einladend wirkt. Die Fenster sind mit Gardinen abgehängt. Um hineinzukommen, muss man an der Haustür klingeln. Doch wer sich traut, betritt eine neue Welt – die Welt von Gastgeber Billy Wagner.
Billy Wagner: Der Wein-Propeht mit dem Rauschebart
Der Ruf eilt ihm voraus: Wagner ist einer der bekanntesten Sommelier Deutschlands, ein Wein-Prophet mit rotem Rauschebart, der gegen den strich gekämmte Empfehlungen macht. Dieses Wissen schürt Erwartungen, fast ehrfürchtig ist man bei der ersten Begegnungen. Doch Erwartungen sind dafür da, sie zu widerlegen und wer einmal Billy Wagner bei einer Weinempfehlung zuhört, fühlt sich nicht belehrt, sondern unterhalten: Als würde er einem guten Kumpel einen Wein nahe legen. Eloquent und bildlich beschreibt er die jeweiligen Tropfen. Die meisten Weingüter kennt Wagner persönlich. Das ist beachtlich, immerhin umfasst die Karte 600 Posten.
Offene Küche mitten im Restaurant
Mitten im Raum die Küche: Rundherum eine breite Holztheke, die als Esstisch dient. Hier nimmt man als Gast Platz. Man sitzt nebeneinander, nicht gegenüber, und bleibt dennoch unter sich – oder kommt mit dem Sitznachbarn ins Gespräch. Wie man mag. Unpersönliches Sushi-Circle-Feeling kommt, dank der gekonnten Einrichtung, nicht auf. Das Ambiente erinnert eher an einen Privat-Club, als an ein Restaurant: Stimmungsvolle Beleuchtung, viel Holz, gedeckte Farben, Felle auf Designerstühlen, Musik vom Plattenspieler, Duftkerzen auf der Toilette, Kondomautomat im Waschraum. Toll ist dank der Sitzordnung auch: Jeder Gast hat die Möglichkeit, den Köchen bei ihrer Arbeit zuzusehen. Wie bei einem gerahmten Kammerspiel. Jedes Mitglied im Team weiß, was es zu tun hat. Die Mitarbeiter greifen ineinander wie Zahnräder, arbeiten leise und konzentriert. Das hat etwas Hypnotisches.
Lokale Gerichte von Küchenchef Micha Schäfer
Fast ausschließlich aus Berlin und Umgebung stammen die Produkte, die im Nobelhart & Schmutzig zum Einsatz kommen: „Brutal lokal“ lautet das Motto, das hier so konsequent umgesetzt wird, wie es sonst nur selten der Fall ist. Kein Pfeffer, keine Schokolade, kein Koriander, dafür aber ebenso würzige Selleriesamen, Meerrettich oder Kresse.
Küchenchef Micha Schäfer, der zuvor im Frankfurter 2-Sterne-Restaurant Villa Merton kochte, kreiert jeden Abend ein 10-Gänge-Menü. Eine Auswahl hat man nicht. Einzige Ausnahme: Vegetarier und Veganer sowie Allergiker können ihre Wünsche vorab ankündigen. Alle anderen essen, was auf den Tisch kommt – und das schmeckt ausgesprochen gut.
Das Besondere: Die vom jeweiligen Koch angerichtete Kreation wird von diesem auch serviert und erkäutert, so dass man als Gast die Chance bekommt, mit den Köchen ins Gespräch zu kommen, Fragen zu stellen, über das Essen hinaus am Genuss im Nobelhart & Schmutzig teilzunehmen. Auch deswegen sollte man sich Zeit für einen Abend bei Billy Wagner nehmen – um Fragen stellen zu können und die Geschichten hinter den Produkten zu hören. Zu wissen, was man ist, ist wohl nirgendwo befriedigender.
Nobelhart & Schmutzig: Das 10-Gänge-Menü
Der erste Gang heißt schlicht „Rind / Sellerie“, wird auf Empfehlung mit den Händen gegessen und ist schon einmal ein Vorbote auf das Kommende: Das zarte, rohe Rindfleisch wurde mit geriebenen, zuvor in Salzlake getrockneten Sellerie garniert, der wiederum, darauf weist die kleine Karte in Papierform hin, vom Biohof Grete Peschken in Mecklenburg Vorpommern. Zu jedem Gericht gibt es eine kleine Geschichte: So wird der Rotkohl beim zweiten Gang, der mit Aal serviert wird, in Johannisbeeröl angemacht, das eigenhändig von den Köchen angesetzt wird: Mit Hilfe von Ästen des Johannisbeerstrauchs. Die Köchin bringt das Einmachglas mit dem Öl dem Gast, man soll eine Duftprobe von dem himmlisch fruchtigen Öl nehmen. Das im Anschluss gereichte Dinkel-Sauerbrot stammt von Alfredo Sironi, den jeder kennt, der schon einmal in der Kreuzberger Markthalle IX seine gebackenen Köstlichkeiten probiert hat. Dazu gibt es eine selbstgemachte Butter, die aus einem stinernden Topf geschabt wird und die bereits seit Dezember reift. Entsprechend käsig schmeckt sie, was perfekt zum säuerlichen Brot ausgezeichnet passt. Man könnte sich allein daran satt essen. Im Nobelhart & Schmutzig werden Brotkorb und Butterteller immer wieder aufgefüllt. Da hält man es großzügig.
Herrlich ist der wildgefangene Zanders aus der Müritz mit aromatisch-nussiger Haselnussmilch, die – in einem langwierigen Prozess, wie die Köchin erklärt – aus dem Haselnussfleisch ausgewrungen und mit Osmosewasser verflüssigt wird. Das ausgewrungene Fleisch landet nicht in der Tonne sondern wird wiederverwendet: Für ein kleines Nuss Baiser, dass der Gast ganz am Ende, bei der Verabschiedung als „Wegzehrung“ in die Hand gedrückt bekommt. Von der mit Riesling, Apfelessig und geräucherter Butter verfeinerte Kartoffelsuppe mit Blutwurst bekommt man sogar Nachschlag, wenn man denn will. Satt wird man also in jedem Fall!
Preise im Nobelhart & Schmutzig
Das 10-Gänge-Menü im Nobelhart & Schmutzig kostet faire 95 Euro. Zum Essen gibt es Brita-gefiltertes Wasser, kostenlos und soviel man möchte. Die edlen Weine und Biere wiederum wird, versteht sich, extra berechnet. Es sei denn, man bringt seinen eigenen Tropfen mit. Jedoch: Ein anständiger Tropfen müsste es in diesem Fall schon sein: Billy Wagner entscheidet nach Geschmack, wieviel Korkgeld er pro Flasche berechnet. Je besser er den Wein findet, desto niedriger setzt er das Korkgeld an. So kann es durchaus sein, dass eine Flasche 1 Euro oder 50 Euro kostet. Je nach Gusto des Gastgebers. Da wird ein Abend bei Billy Wagner zum kleinen Risikospiel. Auch aus diesem Grund reiht sich das Nobelhart & Schmutzig nicht nur in die Riege der besten Restaurants der Stadt ein. Billy Wagner & Co. können es locker mit der innovativen internationalen Gastro-Szene aufnehmen. Unser Fazit: Brutal genial!