
© Martha's Restaurant
Erwartungen sind dafür da, sie zu widerlegen: Zumindest in Martha’s Restaurant in Berlin-Schöneberg. Es ist eines der besten Restaurants in Berlin. Denn das unfehlbar ästhetische, aber unaufgeregt eingerichtete Martha’s, mitsamt derben Holztische, goldener Mosaikwand, weißen Kunststoffstühlen, wirkt szenig, Berlin-mittig. Aber dass hier herausragende Haute Cuisine serviert wird, erwartet man als Gast zunächst nicht. Doch genau darum geht es im Martha’s: Hier werden starre Regeln gebrochen – sowohl im Konzept als auch in der Küche. Und das macht großen Spaß!

Goldene Mosaikwand, derbe Holztische, weiße Kunststoff-Stühle: Das Interieur im Martha's ist elegant, aber unaufgeregt.
© Friederike Hintze
Sellerie mag unsexy klingen. Was Chefkoch Manuel Schmuck im Martha’s mit der Knolle aber macht, ist sagenhaft! Intensiv geräuchert und in feine Scheiben geschnitten muss selbst der eingefleischte Fleischliebhaber gestehen: Dieses rein vegetarische Gericht macht jedem noch so herrlich rosagebratenen Rinderfilet geschmacklich ernstzunehmende Konkurrenz.

Chefkoch Manuel Schmuck "rockt" im wahrsten Sinne seine Küche. Da wird der vegetarische Germknödel mit Kürbis auch mal mit Ziegenkäse-Vanille-Sauce und gefrorenen Trauben kombiniert.
© Martha's Restaurant
Martha’s Restaurant: Why not?
Erkenntnisse mit Aha-Momente wie diese hat man zu Gast im Martha’s Restaurant nur allzu oft: Die Menüfolge ist kreativ und individuell, schmeckt bisweilen furios (wie das Blutwurstbrot, das mitsamt Öl, Butter und Dip vorweg gereicht wird), meist aber vor allem fantastisch, wie die gebeizte Hirschkalbs-Keule mit Kubeben-Pfeffer, Kohl, süße Kapern, gefrorenen Weintrauben (köstlich!). Der Gourmet mag zunächst verwirrt sein: Da wird gebratener Löwenzahn mit Austernmayonnaise und Pomelo kombiniert. Makrele wiederum wird auf Schwarzkümmelbrötchen im Eggs-Benedict-Stil serviert. Nichts passt – scheinbar (!) – zusammen. Alles wird miteinander kombiniert. Manuel Schmuck scheint sich bei seinen Kreationen von einer Why-Not-Mentalität antreiben zu lassen. Und das Ergebnis ist genial!

Hier kann jeder sein, wie er will: Im Martha's Berlin speist der Geschäftsmann ebenso wie der Kiezbewohner.
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Manuel Schmuck: Bewerbungsgespräch im McDonald’s
Ein Blick in die Vita von Schmuck erklärt einiges: Unter anderem kochte er im berühmten Wiener Steirereck und dem mit zwei Sterne prämierten Reinstoff in Berlin. Wie er 2014 dann zum Martha’s kam ist schnell auserzählt: Inhaber Ulf Böhme lernte er, so erzählt man sich, bei ebay Kleinanzeigen kennen. Das Einstellungsgespräch fand, laut Berliner Zeitung, in einem McDonald’s nahe Kitzbühel statt. Böhme wiederum stammt aus Düsseldorf, ist Wahl-Berliner und benannte sein Restaurant nach seiner Tochter – Martha.

Allein der Brotkorb, unter anderem mit selbst gebackenem Blutwurst-Brot, ist eine Offenbarung!
© Friederike Hintze
Martha’s Restaurant Berlin: Jeder ist willkommen
So spektakulär die Speisen, so entspannt ist hier die Stimmung, so heterogen die Klientel: Geschäftsleute und Kiezbewohner, gediegene Gäste und Hipster dinieren hier nebeneinander. Keiner wirkt dabei deplatziert. Auch das ist Teil der Idee, erklärt Restaurantchef Sander Bosman: „Wir folgen dem Konzept des Casual Fine Dining. Das macht das Martha’s aus: Jeder kann hier sein wie er will.“ Das gilt nicht nur für die Gäste, sondern auch für Personal. Bosman ist ein herausragender Gastgeber in gemusterten Hemd und mit Wollmütze. Die Bedienung eine sympathische junge Frau mit langen dunklen Haaren, Wollkleid und mit Mini-Schürze. Schlips und Kragen trägt hier kein Angestellter – es sei denn, er will es. Auf relevante Etikette achtet man dennoch. Serviert wird nur mit schwarzen Baumwollhandschuhen. „Das ist eine Stilfrage“, erklärt Bosman. Und: Jeder Gang wird ausführlich erläutert und mit Hilfe einer Taschenlampe zudem auch noch perfekt ausgeleuchtet. So kann man das ganze Kunstwerk in seiner Pracht betrachten.

Kunstvoll drapiert Manuel Schmuck seine köstlichen Kreationen auf dem Teller.
© Friederike Hintze
Ein lehrreicher Abend in Martha’s Restaurant
Denn das sind die Kreationen von Manuel Schmuck: Echte Kunstwerke, liebevoll angerichtet, fast zu schön um sie zu verspeisen. Andererseits wäre es noch bedauerlicher, nichts im Martha’s zu essen. Jedes Gericht ist eine Komposition. Das muss man probiert haben.

Ein Hauptgang mit Fleisch: Iberico Schwein mit einer Austernmayonnaise zum Niederknien!
© Friederike Hintze
Und doch: Auch wer keinen Hunger verspürt, ist willkommen: „Man kann auch einfach nur auf einen Wein vorbei kommen“, erklärt Bosmann. Dann nimmt man an der mit lederbezogenen, wuchtigen Bar oder an einem langen hohen Tisch im vorderen Bereich Platz. Die Cocktail- und Weinkarte ist ein Klemmbrett mit handverlesenen Tropfen. Ulf Bohne ist bekennender Weinliebhaber und mit zahlreichen Winzern befreundet. Pro Saison wird immer ein besonderes Gut in der Karte vorgestellt, die Weine hervorgehoben und beschrieben, so dass selbst der Nicht-Kenner ein Gefühl für den Tropfen, den man trinkt, bekommt. Ein weiterer Grund, wiederzukommen: Ein Besuch in Martha’s Restaurant ist in vielerlei Hinsicht lehrreich.