Kulm Hotel St. Moritz: unterwegs mit der Ziegenflüsterin

Als Wintersport-Destination zieht St. Moritz Gäste aus aller Welt an. Aber auch der Sommer bietet gute Gründe für einen Trip ins Engadin.

Wo sich der internationale Jetset im Winter ein Stelldichein gibt, geht es während der Sommermonate sehr ruhig – und gänzlich unprätentiös. Im Kulm Hotel etwa, das St. Moritz 1864 die Geburt Wiege des Skitourismus bescherte, fühlt sich der Gast wie in einer großen Familie.

Neben dem aufmerksamen Serviceteam trägt dazu vor allem das charmante Gastgeber-Ehepaar Jenny und Heinz E. Hunkeler bei, das – diskret und scheinbar omnipräsent – von früh bis spät im Haus unterwegs ist. Nicht ohne Grund kürte der GaultMillau das Kulm zum Hotel des Jahres 2018. Zwischenzeitlich erlebte das älteste Hotel in St. Moritz die größte Renovierungsoffensive seit seinem über 160-jährigen Bestehen. Seit Winter stehen den Gästen 40 neu gestaltete Zimmer und Suiten im historischen Gebäudeteil Mittelkulm zur Verfügung.

Einige davon wurden bis auf die Grundmauern erneuert, um mehr Raum und neue Möglichkeiten zu schaffen – zum Beispiel für zusammenlegbare Familienzimmer. Klassisch und anmutig sollten Architektur und Design ausfallen. Alpine Elemente sollten so interpretiert werden, ohne dabei die Identität eines Grand Hotels zu verlieren. Bei der Farbauswahl griff der französische Star-Architekt Pierre-Yves Rochon zu warmen Nuancen wie Beige, Taupe und Grau.

Gefühl des Geborgenseins

Ein sattes, tiefgründiges Blau oder wahlweise Bordeaux setzt spannende Akzente. Edle Vorhänge mit großflächigen Mustern, Accessoires in Gold und Silber, samtweiche Teppiche, lasierte Möbelstücke und aufwendig gearbeitete Vasen schaffen ein elegantes Flair. Im Gegensatz dazu stehen die aus duftendem Zirbenholz gestalteten Zimmerdecken und lokale Materialien wie Granit. „Der Wow-Effekt beim ersten Eindruck ist entscheidend, aber das Gefühl sich geborgen und aufgehoben zu fühlen, ist noch viel wichtiger“, lautet die Maxime von Rochon. Besser lässt sich der Kulm’sche Wohlfühlfaktor kaum auf den Punkt bringen.

Zum Sommerprogramm des Grandhotels zählt auch in diesem Jahr wieder eine unvergessliche Tour abseits des Luxus. Im Mittelpunkt steht eine fünfköpfige Ziegenschar. Die gebürtige Baslerin Nicole Buess hat mit ihnen ein tierisches Projekt auf die Beine gestellt. Unter dem Label „Mini Geiss – Dini Geiss“ bietet sie verschiedene Aktivitäten mit den verschmusten Paarhufern an: von Tages-Trekkings über Schnupperspaziergänge bis zum Yoga. „Gerade Ziegen-Yoga bietet ganzheitliche Stressreduktion, Entspannung, Beruhigung und vieles mehr“, erläutert Buess, „dank der Ermunterung und spontanen Zuneigung der Ziegen steigert es das emotionale Wohlgefühl.“ Jede Stunde ist anders – und der gesamte Körper zeigt positive Reaktionen durch das emotionale Zusammenspiel von Körper, Geist und Ziege.

Ein besonderes Vergnügen ist auch ein ausgedehnter Spaziergang mit den Ziegen. Voller Entdeckungsfreude und lebensfroh sorgen die trittsicheren Vierbeiner auch beim Wandern durch die vielseitige Berglandschaft für Abwechslung und gute Laune. Beni Buess, Gibo, Murmel Paolino, Sämi und Zottel hat Nicole Buess ihr Quintett genannt, das es zunächst kennenzulernen gilt. Beim Striegeln, Halfter anlegen, Bürsten und Satteln passiert das wie von selbst.

Rettung vor dem Metzger

Mit ihrem neugierigen Wesen machen die Ziegen den Menschen die Annäherung leicht. „Man braucht keine Angst vor ihnen zu haben“, sagt die quirlige und immer gut gelaunte Buess. Wohl das Einzige, was man nicht darf, ist, sie an den Hörner anfassen, das mögen sie nicht: „Das hat etwas mit Achtung zu tun.“

Ihre Leidenschaft für Ziegen begann für die Ziegenflüsterin gleichsam als tierische Happy-End-Geschichte. Vor gut zwei Jahren hat sie auf ihren Hundespaziergängen die fünf „Willy-Geissböckli“ kennengelernt und täglich mit ihnen „geplaudert“. Als sie erfuhr, dass sie wenige Monate später „gmetzget“ werden sollten, war für sie der tierische Rubikon überschritten: Die Ziegen mussten gerettet werden. „Ich war überrascht, dass vielen Leuten gar nicht bewusst ist, dass die Milch der Ziegenweibchen zu Käse und Joghurt verarbeitet wird – während die Böcke schon nach fünf bis sieben Monaten zu Fleisch verarbeitet werden“, blickt die wohltuende Schweizerin zurück.

Tierische Anführer

Wie alle Ziegen sind auch ihre „Geissen“ ebenso eigensinnig wie sensibel. Nur sie sind es, die das Tempo vorgeben. Der Weg ist das Ziel, dieses vielfach bemühte Mantra kommt hier seiner ureigentlichen Bedeutung sehr nah. „Ziegen kann man nicht beherrschen, man kann sie nur bitten“, klärt Nicole Buess auf. Gleichwohl hören sie sehr gut auf ihre Namen und folgen „enorm gut, wie Hunde. Einziges Hindernis könnten köstliche Blumen sein.

Der Weg führt durch Zirbenwald und saftige Wiesen, eindrucksvoll umrahmt von den Bergmassiven des Oberengadins. Unterwegs erfährt man Wissenswertes zu Nutz- und Wildtieren, Landwirtschaft, Natur und Umwelt – en passant und unkompliziert. Hier und da bleiben die tierischen Anführer stehen, um ein Maul voll frisches Engadiner Gras zu rupfen.

Bündner Schinken und Edelweißtee

Wie bei jeder Wanderung gibt es auch beim Ziegentrekking eine Rast. In einer Waldlichtung zaubert Nicole ein Picknick mit lokalen Produkten der umliegenden Bergbauernbetriebe aus ihrem Rucksack: Engadiner Käsevariation, Bündner Rohschinken, Salsiz, frisches Brot, Karotten, Tomaten, Engadiner Nusstorte und Birnbrot, dazu Arven- und Edelweißtee. Der Rückweg kündet vom baldigen Abschied. Allzu schnell haben auch Erwachsene ihr Herz an die klugen Tiere verloren, die Trennung von Beni Buess, Murmel Paolino, & Co. fällt schwer.

Als angenehmer Trost bietet sich ein Besuch im Spa des Kulm Hotels an. Hier beindruckt vor allem der Postkartenblick auf die unvergleichliche Aussicht auf die umliegenden Berge des Engadins. Neben diversen Saunen, Dampfgrad und Solegrotte, runden ein 20-Meter-Schwimmbecken mit Unterwassermusik und ein Kinderbecken das Angebot ab. Letzteres imponiert durch die mutmaßlich schönste Aussicht alle Kinderplanschbecken der Welt – wobei sich die Kleinen wahrscheinlich mehr auf die Wasserspiele und die Rutschbahn konzentrieren als auf das Bergpanorama.

„The Frequent Traveller“-Tipp: Zu den Höhepunkten der Sommer-Saison zählt das ‚Festival da Jazz’, das jeweils von Juli bis August in dem zum Kulm Hotel gehörenden, legendären Dracula Club und neuerdings auch in der Sunny Bar, stattfindet. Jazz vom Feinsten in besonderer Atmosphäre wird hier dargeboten, u.a. mit Marla Glenn, Chick Corea, Aloe Blacc, Gilberto Gil und Helge Schneider. Informationen dazu unter www.festivaldajazz.ch.


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